Was macht eigentlich Nina Recker...?

Hüde / Wetschen – Lahti, Finnland, Juli 2002.

Die 17-jährige Nina Recker steht in einer riesigen Halle. Immer wieder hört sie Applaus und lautstarke  Anfeuerungen. Die Weltmeisterschaft, das größte Ereignis ihrer Karriere, ist in vollem Gange. Gleich  muss sie schießen. Doch halten die Nerven? Plötzlich, für einen kurzen Moment, hört sie ein vertrautes Geräusch. Es ist das Lachen ihres Vaters, der mitten im Publikum sitzt und mit seiner hörbar guten Laune bis zu seiner Tochter vordringt. Das beruhigt sie - nun kann’s losgehen.

Am Ende wird Recker bei den Juniorinnen  Zehnte im Einzel und Dritte mit der Mannschaft.

„Unfassbar“, erzählt sie heute strahlend, „das größte Highlight meiner Laufbahn“.

Jedoch nicht das letzte. Ein Jahr später wird Recker, die für den SV Wetschen antritt, Juniorinnen-Europameisterin im tschechischen Pilsen und schießt in der Luftpistolen-Bundesliga für den SV Bassum von 1848 - und verschwindet auf einmal von der (sportlichen) Bildfläche.

Im Hintergrund lief schon seit ein paar Jahren die Ausbildung zur Industriekauffrau, das wollte Recker lieber machen, als in die Sportfördergruppe der Bundeswehr zu gehen.

„Ich hatte schon ganz früh klar das Ziel, das ich irgendwann Kinder kriegen möchte“ erzählt sie und fügt lächelnd an: „Und ich kann ja nicht zur Bundeswehr, dann Kinder bekommen und stehe da ohne Ausbildung.“ Recker setzte Prioritäten, schraubte das zeitintensive Schießen zurück, fing im Familienunternehmen Recker Feinkost GmbH an. „Mein Opa hat das aufgebaut, damals noch Pommes produziert, alles im kleinen Stil, und ist dann in den Großhandel umgeschwenkt“, gewährt sie Einblicke: „Als mein Opa gestorben ist, haben mein Papa und mein Onkel übernommen. Dann ist mein Onkel krank geworden, und ich sollte sofort anfangen. Ich hatte zwar eigentlich andere Pläne, wollte erst einen anderen Betrieb sehen, aber dann war das halt so.“ Parallel bildete sich Nina Recker zur Betriebswirtin weiter, ging ein Jahr zur Abendschule, um später in der Firma ein Qualitätsmanagement-System aufbauen zu können.

Mittlerweile ist sie seit knapp einem Jahrzehnt als Prokuristin im Familienunternehmen tätig, das die Gastronomie beliefert und Vertriebspartner des Speiseeis-Riesen Langnese ist. Im Sommer sei deshalb „immer am Meisten los.“ Ein Job, der deutlich besser mit der Familienplanung zu vereinbaren ist, als eine Karriere bei der Bundeswehr. „Meine Tochter ist als Baby im Büro aufgewachsen, das ist das Schöne an einem Familienunternehmen – da geht so etwas“, erzählt sie.

Die Berufs- und Kinder-Pause beim Schießen soll nun nach und nach ihr Ende finden, die 36-jährige war sogar bis Corona wieder auf dem Stand. Bei ihrem jetzigen Heimatverein SSV Dümmer in Marl. Ich könnte mir vorstellen, mehr zu machen. Als ich wieder angefangen habe, habe ich gemerkt: Es kribbelt.

Ihre Karriere hatte jedoch in Wetschen ihren Anfang genommen. Und das durchaus unverhofft. Recker wollte nämlich eigentlich nicht auf den Schießstand, neben dem sie früher praktischerweise gewohnt hat. „Ich pack‘ doch keine Waffe an“, dachte sie sich im Grundschulalter – und doch standen eines Tages zwei Mitschüler vor ihrer Tür und nahmen sie mit.

„Es war Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sie sich gerne zurück: „Ich war dabei, und es hat mir Spaß gemacht, das habe ich überhaupt nicht erwartet.“ Das Beste für Nina sei gewesen, dass „die Schüsse auch wirklich an der Scheibe ankamen“, lacht sie - die Begabung war unverkennbar: „Also saß der Trainer bei meinen Eltern in der Stube und meinte: Die hat Talent.“ Es war Papa Klaus, eigentlich „leidenschaftlicher Fußballer“, der „sofort auf das Pferd aufgesprungen ist und mir eine Waffe gekauft hat“, berichtet Nina Recker und schmunzelt: „Da es bei mir mit dem Fußball nichts geworden ist, wollte er bei etwas anderem dabei sein.“

Von da an überschlugen sich die Ereignisse. Nina schoss mit der Luftpistole auf großen Wettkämpfen, sollte für den Landeskader infrage kommen – und musste sich dafür mit der Sportpistole vertraut machen. „Das hat viel Überwindung gekostet“, wird sie sich immer daran erinnern. Ich hatte Respekt auch vor dem Rückstoß. Meinen ersten Schuss habe ich mit meinem Trainer zusammen gemacht.“ Danach lief - mal wieder – alles glatt, über den Landeskader ging es zu Wettkampf- und Trainingswochenenden für den Bundeskader. „Ich habe mich bewährt“, sagt sie lächelnd.

Sie wurde in den Jugendkader aufgenommen und feierte ihre größten Erfolge.

Über ihren Vater berichtet sie: Er ist mir jedes Mal und überall hin hinterher geflogen, hat mich immer schön brav gefahren, ich hatte ja keinen Führererschein. Es ist einfach toll, dass er mir das ermöglicht hat.

Unzählige Kreis-, Bezirks-, Landes- und Deutsche Meisterschaften (DM) folgten, 2000 gewann sie die Sportlerwahl, zwei Jahre später schoss sie in Lahti bei der Weltmeisterschaft, wurde in Pilsen Europameisterin sowohl im Einzel als auch mit der Mannschaft.

Im Jahre 2000 wurde sie auch zur Sportlerin des Jahres gewählt - von Walter Link (Vorsitzender KSB Diepholz) erhielt sie unter anderen den Erinnerungspokal...

Auch der Bezirks-Schützenverband Grafschaft Diepholz ehrte sie für ihre hervorragenden schießsportlichen Leistungen beim Bezirks-Königsball 2000 - 2003 bei Hartje in Varrel.

„Die Bundesliga war auch immer ein cooles Highlight“ schwärmt sie: „Allein schon die Umgebung, es war Musik und richtig Stimmung dabei. Ich fand das einfach nur cool, hatte auch keine Kopfhörer auf und musste immer alles mitkriegen. Das ist ein ganz anderes Feeling als bei einer DM, wo man nur steht und schießt, rausgeht und hinterher mitbekommt, was man erreicht hat.“

Erinnerungen, die Nina Recker definitiv nicht missen - und vielleicht irgendwann mal wieder auffrischen möchte. Eventuell sogar an der Seite ihrer Kinder Lilly (9) und Luca (7).„Gerade der Kleine hatte da schon echt Interesse dran“, erzählt sie – als er denn herausgefunden hatte, was seine Mama früher so gemacht hat: „Ich habe versucht, es von ihnen fernzuhalten, so mit Pistole und Schießen, das fand ich nicht so gut.“ Darum lagern die vielen Medaillen und Pokale auch in einer Kiste, die natürlich nicht lange unentdeckt blieb. „Ein bisschen älter müssen sie aber schon noch werden“, findet Mama Recker, „damit ich sie dann irgendwann auch mal schießen lasse.“

 

Familie Recker: Lukas, Nina, Markus und Lilly (von links)

Entdecker und Förderer Siegfried Kemmsies schwärmt noch heute von der                   "Anhänger-Tour“ mit Nina Recker

Seit fast zehn Jahren ist „das alles nichts mehr“ für Siegfried Kemmsies. „Es waren nur noch welche da, die Blödsinn machten“, lautet seine Einschätzung der „neuen“ Garde an Schützen beim SV Wetschen. Also hörte er als Trainer auf, 2012 oder 2013 sei das gewesen.

Auf eine Schützin jedoch passte diese Beschreibung nie: Nina Recker.

„Nina war von Anfang an hundertprozentig dabei“, schwärmt ihr Ex-Coach noch heute: „Ich habe nur die besten Erinnerungen an sie. Sie hat sehr gut gearbeitet und dadurch ja auch viel gewonnen.“ Mit Recker hatte Kemmsies „den größten Erfolg“, auch wenn er noch andere Schützinnen und Schützen betreut hatte, „mit denen ich viel unterwegs war, und die auch ganz gut geschossen haben“.

An seine Anfangszeit mit Recker kann sich Kemmsies noch gut erinnern. „1996 oder 1997 – so um den Dreh - kam eine Mädchengruppe an, und ich habe sie angelernt“, berichtet er: „Nina schoss gleich die besten Ergebnisse, also bin ich mit ihr zur Deutschen Meisterschaft (DM) nach München. Sie hat ja auch einige Male die DM gewonnen.“

Das absolute Highlight der Zusammenarbeit sei die Europameisterschaft 2002 im griechischen Thessaloniki gewesen. Denn bei der Weltmeisterschaft in Lahti im selben Jahr „konnte ich leider nicht dabei sein“, der Beruf machte dem heute pensionierten Polizeibeamten einen Strich durch die Rechnung. Die anschließende Feier des dritten Platzes ließ sich Kemmsies jedoch nicht entgehen.

„Wir haben sie hier in Empfang genommen, einen Anhänger gemietet und sind mit ihr durchs Dorf gefahren“, erzählt er lachend.

Der laut Nina Recker damals „wahnsinnig engagierte“ Kemmsies kann sich durchaus vorstellen, dass seine ehemalige Schützin - die nach Arbeits- und Kinderpause mit einem Comeback liebäugelt - noch einmal auf hohem Niveau angreifen könnte. „Warum denn nicht? Da müsste sie sich natürlich wieder reinschießen, das Einarbeiten ist gar nicht so einfach, Nina ist ja jetzt auch keine 15 Jahre mehr alt“, meint der Ex- Trainer lächelnd: „Aber ich traue es ihr auf jeden Fall zu.“

 

Bericht: Felix Schlickmann

Kreiszeitung / Lokalsport

Fotos: Nina Recker / Marianne Vallan

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